Selenskyj weist derzeitige Form des US-Plans zurück: Ukraine wird nicht "verraten"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den von den USA vorgelegten Plan zur Beendigung des russischen Angriffskrieges in seiner jetzigen Form zurückgewiesen: Er werde sein Land nicht "verraten", sagte Selenskyj am Freitag in einer Rede an die Nation. Die Ukraine stehe vor einer "sehr schwierigen Entscheidung", sie werde entweder ihre "Würde" oder einen "wichtigen Partner" verlieren. UN-Generalsekretär António Guterres und die europäischen Unterstützer der Ukraine reagierten derweil besorgt auf den US-Plan, der erhebliche Zugeständnisse Kiews vorsieht.
Selenskyj kündigte an, "Alternativen" zu dem US-Vorschlag vorzulegen. "Ich werde Argumente vorbringen, ich werde überzeugen", sagte der Präsident weiter. Er erinnerte daran, wie er nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 die Reaktion seines Landes koordiniert hatte: "Wir haben die Ukraine damals nicht verraten, und wir werden es auch jetzt nicht tun."
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die USA einen 28-Punkte-Plan zur Beilegung des Krieges in der Ukraine erarbeitet haben. In seiner jetzigen Form würde der US-Vorschlag, der entscheidende Forderungen Moskaus aufnimmt, praktisch einer Kapitulation der Ukraine gleichkommen. Er verlangt von der Ukraine schmerzhafte Zugeständnisse wie die Abtretung großer Gebiete in der Ostukraine an Russland, eine Begrenzung der Truppenstärke und einen Verzicht auf einen Nato-Beitritt.
Selenskyj beriet am Freitag mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie dem britischen Premierminister Keir Starmer über den US-Vorstoß. Die Verbündeten der Ukraine betonten, die ukrainische Armee müsse weiterhin zur Verteidigung der Souveränität des Landes imstande sein. Zudem kritisierten sie die in dem US-Plan vorgeschlagenen Gebietsabtretungen. Auch UN-Generalsekretär Guterres mahnte an, jeder Friedensplan müsse die "territoriale Integrität" der Ukraine respektieren. Eine Friedenslösung für die Ukraine müsse "die Resolutionen der Generalversammlung einhalten", sagte Guterres vor Journalisten in Johannesburg.
Am Freitag telefonierte Selenskyj zudem mit US-Vizepräsident JD Vance und Pentagon-Staatssekretär Dan Driscoll. In dem fast einstündigen Telefonat habe er unterstrichen, dass die Ukraine "den Wunsch von US-Präsident Donald Trump, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen, stets respektiert hat und dies auch weiterhin tut", erklärte Selenskyj in Onlinediensten.
Aus Kreisen des Weißen Hauses erfuhr die Nachrichtenagentur AFP zudem, dass Trump sowohl mit Kiew als auch mit Moskau zusammenarbeite, um den Krieg "so schnell wie möglich" zu beenden.
Dem Weißen Haus zufolge handelt es sich bei dem 28-Punkte-Plan, der der Nachrichtenagentur AFP vorlag, noch um ein "Arbeitsdokument". Dieser sieht schmerzhafte Gebietsabtretungen der Ukraine vor: Etwa ein Fünftel der Ukraine ist derzeit von russischen Truppen besetzt. Laut dem US-Entwurf sollen die Regionen Donezk und Luhansk ebenso wie die annektierte Halbinsel Krim "de facto als russisch anerkannt werden". Dabei müsste die Ukraine auch Gebiete aufgeben, die nicht von Russland erobert wurden.
Die beiden zum Teil von Russland kontrollierten Regionen Cherson und Saporischschja im Süden der Ukraine würden dem Plan zufolge entsprechend dem aktuellen Frontverlauf aufgeteilt.
Die Nato soll sich verpflichten, keine Truppen in die Ukraine zu entsenden und zudem eine künftige Mitgliedschaft der Ukraine ausschließen. Für die Ukraine stehe zwar der Weg in die EU offen, heißt es in dem US-Papier. Kiew soll aber den Verzicht auf einen Nato-Beitritt in der Verfassung verankern - damit würde eine der Kernforderungen Russlands erfüllt.
Im Gegenzug soll die Ukraine "zuverlässige Sicherheitsgarantien" erhalten, wie es in dem Plan heißt. Ein US-Regierungsvertreter sagte, es seien Nato-ähnliche Sicherheitsgarantien der USA und ihrer europäischen Verbündeten vorgesehen.
Zwischen Russland, der Ukraine und Europa soll dem US-Vorschlag zufolge ein "umfassendes Nichtangriffsabkommen" geschlossen werden. "Es wird erwartet, dass Russland nicht in Nachbarländer einmarschiert und die Nato nicht weiter expandiert", heißt es darin. Eine weitere zentrale Forderung Moskaus betrifft die ukrainische Innenpolitik: Die Ukraine soll innerhalb von hundert Tagen nach Inkrafttreten des Abkommens Wahlen abhalten, heißt es in dem Plan.
Ferner sieht der US-Plan vor, dass die Ukraine den geforderten Verzicht auf einen Nato-Beitritt in ihrer Verfassung verankert und die Truppenstärke ihrer Armee auf 600.000 Soldaten begrenzt.
Die USA sollen dem Plan zufolge im Gegenzug für die Gewährung von Sicherheitsgarantien finanziell vergütet werden. Zudem will Washington von Projekten zum Wiederaufbau der Ukraine profitieren. Russland soll nach den Vorstellungen Washingtons "wieder in die Weltwirtschaft integriert" und erneut in die G8-Staatengruppe aufgenommen werden, aus der es 2014 nach der Annexion der Krim ausgeschlossen worden war.
Russland sieht sich durch den US-Vorstoß offenbar bestätigt und drängt die Ukraine zu sofortigen Verhandlungen. "Es ist besser zu verhandeln und zwar jetzt und nicht später", erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Moskau. "Der Spielraum für freie Entscheidungen schrumpft für ihn (Selenskyj), da durch die Offensive der russischen Armee Gebiete verloren gehen", sagte Peskow.
M.Fierro--IM